Pflanzen im Eistobel
Die Bäume des Schluchtwaldes
Überquellende Artenfülle
Der Schluchtwald des Eistobels ist ein arten- und strukturreicher Laubmischwald. Hohe Luftfeuchtigkeit und eine gute Wasserversorgung sorgen dafür, dass Moose und Farne in großer Vielfalt und Fülle gedeihen. An manchen Stellen fühlt man sich fast in einen tropischen Regenwald versetzt: Efeu klettert lianengleich an den Bäumen empor. Moose, Farne und Baumpilze wachsen auf den Stämmen. Steile Hänge und das dichte Blätterdach des Waldes lassen das Sonnenlicht nur an wenigen Stellen ungefiltert bis auf den Boden vordringen. Deshalb fühlen sich im Eistobel vor allem Pflanzen wohl, die sich an feuchte, schattige Lebensräume angepasst haben.
Energiehaltige Leckerbissen für Waldbewohner
Natürlicherweise wäre die bis zu 30 Meter hoch werdende Rot-Buche bei uns an vielen Standorten die dominierende Baumart. Durch Aufforstung mit Fichten wurde sie in den letzten Jahrhunderten aber häufig ins zweite Glied gedrängt. Im Eistobel ist die Rot-Buche noch weit verbreitet. Abhängig von der Hanglage wächst sie vergesellschaftet mit Berg-Ahornen oder mit Weißtannen und Eiben. Ihre Früchte, die Bucheckern, dienen Eichhörnchen, Eichelhähern und anderen Tieren als Nahrung. Die nährstoffhaltigen Nüsse bestehen bis zu einem Viertel aus fettem Öl.
Das Hubschrauberprinzip als Ausbreitungsmechanismus
Wie es der Name schon sagt, fühlt sich der bis zu 40 Meter hoch werdende Berg-Ahorn in höheren Lagen sehr wohl. Er bevorzugt tiefgründige und nährstoffreiche Böden und wächst besonders gern in feuchten Schluchtwäldern. Auffällig sind seine geflügelten Früchte, die sich nach der Reife einzeln aus dem Fruchtstand lösen. Sie gleiten in einer spiralförmigen Bewegung nach dem Hubschrauberprinzip zu Boden. Dabei werden sie leicht vom Wind erfasst und können so den großblättrigen Laubbaum über weite Distanzen verbreiten.
Anpassungsfähig und doch bedroht
Die bis zu 40 Meter hoch werdende Gewöhnliche Esche ist ein wichtiger Laubbaum der Au- und Schluchtwälder. Sie ist sehr anpassungsfähig und wächst auf nassen Böden ebenso wie auf trockenen. Bei der Esche erscheinen die Blüten vor den Blättern. Ihr hartes, elastisches Holz wird unter anderem zu Werkzeugstielen, Bögen und anderen Sportgeräten verarbeitet. Seit einigen Jahren bedroht leider das von einem Schlauchpilz ausgelöste Eschensterben die Bestände.
Ein Baum kämpft ums Überleben
Berg-Ulmen lieben das feuchte Klima der Schluchtwälder. Leider sind diese wundervollen, bis zu 35 Meter hohen Laubbäume bei uns vom Aussterben bedroht. Das Ulmensterben hat in den letzten Jahrzehnten ganze Bestände dahin gerafft. Verursacht wird die gefürchtete Ulmenkrankheit durch einen Schlauchpilz, der in den Wassergefäßen lebt, diese verstopft und so letztlich zum Absterben der Bäume führt. Durch den Ulmensplintkäfer wird der Pilz auf benachbarte, noch nicht befallene Ulmen übertragen.
Der Methusalem des Schluchtwaldes
Die geschützte Eibe kommt als niederwüchsige Schattenbaumart mit dem Lichtmangel in den Schluchtwäldern des Eistobels hervorragend zurecht. Obwohl der immergrüne Nadelbaum nur bis zu 20 Meter hoch wird, zählt er zu den Altersrekordlern in unserer heimischen Pflanzenwelt: Im Allgäu sollen immer noch Eiben stehen, die über 1.000 Jahre alt sind. Mit Ausnahme des karmesinroten Samenmantels sind alle Teile der Eibe toxisch – sie enthalten das hochgiftige Alkaloid Karmesin.
Der Charakterbaum der Allgäuer Bergwälder
Einzelne Exemplare der Weißtanne können über 50 Meter hoch und bis zu 600 Jahre alt werden. Da ihre Pfahlwurzeln tief in die Böden reichen, halten Weißtannen starken Stürmen wesentlich besser stand als die flach wurzelnden Fichten. Die beiden Nadelbaumarten ähneln sich auf den ersten Blick, lassen sich mit etwas Übung aber gut voneinander unterscheiden: Die abgeflachten Nadeln der Weißtanne weisen zwei silberweiße Streifen auf der Unterseite auf, die den zugespitzten Fichtennadeln fehlen. Außerdem stehen bei Weißtannen die Zapfen immer aufrecht am Baum, während sie bei Fichten nach unten hängen.
Der Brotbaum der Forstwirtschaft
Fichten sind ursprünglich Gebirgsbäume, die erst durch die Forstwirtschaft den Weg in tiefere Lagen gefunden haben. Während es sich bei Fichten tieferer Lagen um stattliche, bis zu 50 Meter hohe Nadelbäume mit breiten, kegelförmigen Kronen handelt, sind die Fichten höherer Lagen schlank und haben schmale Kronen – eine Anpassung an Schneedruck und Wind. Übrigens handelt es sich bei den „Tannenzapfen“, die man am Boden findet, in Wahrheit um Fichtenzapfen: Die Zapfen der Tanne zerfallen bereits am Baum!
Keine Angst vor nassen Füßen
Die bis zu 20 Meter hoch werdende Grau-Erle wächst an der Oberen Argen in Auwäldern und an Uferhängen. Da sie kurzzeitige Überflutung ebenso verträgt wie Trockenheit, ist sie in der Lage, als Pioniergehölz extreme Standorte zu besiedeln. Für einen Baum ist sie allerdings relativ kurzlebig und wird selten älter als 50 Jahre. Ihr Höhenwachstum stellt sie bereits mit 15 Jahren ein.
Die Pflanzen der Krautschicht
Unscheinbare Lebenskünstler
Moose sind Spezialisten für Lebensräume mit hoher Luftfeuchtigkeit. Feuchte und schattige Wälder gehören zu ihren Lieblingsstandorten. Sie besiedeln sogar ständig vom Wasser überrieselte Felsen. Deshalb fühlen sie sich im Eistobel mit seinen zahlreichen Wasserfällen und Felswänden besonders wohl. Zu den schönsten Moosen des Eistobels zählen verschiedene Arten der Lebermoose, die sich mit ihren wurzelartigen Haaren sogar an harten Nagelfluhfelsen verankern können.
Boten aus der Urzeit
Farne waren die ersten Pflanzen, die vor mehr als 300 Jahren das Festland eroberten. Schon damals entwickelten sich die drei Hauptgruppen der Farne, die wir bis heute unterscheiden Bärlappe, Schachtelhalme und Wedelfarne. Vertreter dieser Gruppen kommen auch im Eistobel vor. Unter anderem wachsen in der Schlucht Tannen- und Sprossender Bärlapp sowie Acker-, Winter-, Sumpf- und Riesen-Schachtelhalm. Am artenreichsten sind die Farne, bei denen sich zum Beispiel Grüner Streifenfarn, Rippenfarn, Zerbrechlicher Blasenfarn, Gewöhnlicher Dornfarn und Tüpfelfarn finden lassen. Letzterer wächst nicht nur am Waldboden, sondern auch – als so genannter Epiphyt – auf alten, bemoosten Bäumen im Eistobel.
Goldgelbe Frühlingsbotin
Die 15 bis 50 Zentimeter hohe Sumpfdotterblume besiedelt nährstoffreiche Sumpfwiesen, Bachränder und feuchte Wälder. Als einer der ersten Frühlingsboten blüht sie im Eistobel schon im April. Dann sorgen ihre Blüten für leuchtende Farbtupfer entlang der Oberen Argen. Verantwortlich für die gelbe Farbe ist der Farbstoff Karotin. Das wussten unsere Vorfahre zu nutzen: Sie verwendeten die Blüten der Sumpfdotterblume zum Färben von Butter.
Kletterkünstler in der Steilwand
Der seltene Kies-Steinbrech mag es feucht, nass und schattig. Wenn der Untergrund dann noch kiesig oder steinig ist, findet er ideale Lebensbedingungen vor. So gesehen ist der Eistobel für die bis zu 40 Zentimeter hohe Pflanze wie geschaffen. An überrieselten Nagelfluhfelsen, steilen Felswänden und kiesigen Uferabschnitten lassen sich die zitronengelb bis orange blühenden Rispen des Kies-Steinbrechs zwischen Juni und September entdecken.
Zarte Blume im rauen Nagelfluhfels
Das Alpen-Maßliebchen ist eine Pflanze der Berge, die in den Alpen noch in 2.800 Meter Höhe vorkommen kann. In tieferen Lagen fühlt sich die hübsche Blütenpflanze, die an ein zu groß geratenes Gänseblümchen erinnert, nur in bestimmten Lebensräumen wohl. So besiedelt sie im Eistobel die Felsen, Rutschhänge, und feuchten Stellen im Schluchtwald. Das bis zu 35 Zentimeter hohe Alpen-Maßliebchen blüht im Mai und Juni.
Blätter, so groß wie Autoreifen
Die Weiße Pestwurz und die nahe verwandte Rote Pestwurz blühen im zeitigen Frühjahr. Die runden, herzförmigen Blätter erscheinen erst Wochen später – und erreichen Rekordgrößen: Während die Blätter der Weißen Pestwurz einen Durchmesser von bis zu 30 Zentimetern haben, werden die der Roten Pestwurz sogar bis zu 90 Zentimeter groß. Filigrane Meisterwerke, die – nur getragen von einem einzigen, kräftigen Blattstiel – sogar genügend Deckung für Rehe bieten.
Wunderschön und tödlich giftig
Die prächtigen, helmförmigen Blüten des Gelben und des Blauen Eisenhuts erscheinen zwischen Juni und August. Die geschützten, bis zu eineinhalb Meter hohen Pflanzen, wachsen an Bachufern, Hochstaudenfluren sowie in Schlucht- und Auwäldern. Doch ist Vorsicht geboten: Alle Teile des Gelben und des Blauen Eisenhuts enthalten das Alkaloid Aconitin, eines der stärksten Pflanzengifte überhaupt. Bereits wenige Gramm davon sind für den Menschen tödlich. Unsere Vorfahren setzten Eisenhut als Pfeil- und Mordgift sowie zum Vergiften von Wölfen und Füchsen ein.
Blütenreicher Methusalem
Der bis zu 1,5 Meter hoch werdende Wald-Geißbart ist eine ausdauernde Pflanze der Schluchtwälder, Ufergebüsche und Bergwälder. Er wächst nur an schattigen Stellen und blüht zwischen Mai und Juli. Seine auffallenden Blütenrispen bestehen aus bis zu 10.000 winzigen Einzelblüten. Der Wald-Geißbart ist zweihäusig, es gibt also weibliche und männliche Pflanzen. Weibliche Blüten sind reinweiß, männliche Blüten gelblich-weiß gefärbt. Der Wald-Geißbart soll bis zu 100 Jahre alt werden.
Betörende Duftmischung
Das bis 1,5 Meter hohe Mädesüß wächst in Feuchtwiesen, Hochstaudenfluren, Auwäldern, Quellsümpfen und an Grabenrändern. Seine kleinen Blüten stehen in auffälligen, weißen Trugdolden und blühen zwischen Juni und August. Sie verströmen einen süßlichen, an Mandeln und Honig erinnernden Duft. Früher wurde mit ihnen der Honigwein (Met) gesüßt.
Blauviolette Riesenblüten
Die Berg-Flockenblume zählt mit ihren leuchtend blauen Randblüten und ihren violetten Innenblüten sicher zu den schönsten Blumen des Eistobels. Sie blüht zwischen Mai und August und wächst an Waldrändern und in Hochstaudenfluren. Die bis zu sechs Zentimeter großen Blüten werden vor allem von Bienen und Ameisen besucht.
Geschützte Schönheit
Die wunderschönen, kegelförmigen Blütenstände des bis zu 70 Zentimeter hohen Fuchs‘ Knabenkraut lassen sich im Eistobel im Frühsommer bewundern. Die geschützte Orchidee wächst in lichten und halbschattigen Bereichen und gedeiht teilweise direkt neben dem Wanderweg. Der Name „Knabenkraut“ leitet sich übrigens von der speziellen Form der Wurzelknollen ab, die an menschliche Hoden erinnert.
Die Orchidee für den zweiten Blick
Das bis zu 60 Zentimeter hohe, zwischen Mai und Juli blühende Große Zweiblatt wird leicht übersehen. Für viele offenbart sich die Schönheit der unscheinbaren Waldorchidee erst auf den zweiten Blick: Bei genauerer Betrachtung sind die bis zu 40 grünlichen Blüten sehr filigran gebaut. Typisch für das Große Zweiblatt sind die beiden großen, eiförmigen Blätter. Wie alle Orchideen ist die Pflanze streng geschützt!
Sommerlicher Blütentraum
Mit ihren großen, blauvioletten Blüten zählt die bis zu einem Meter hohe Nesselblättrige Glockenblume zu den schönsten Waldblumen im Eistobel. Ihre behaarten Blätter ähneln denen der Brennnessel, brennen aber nicht. Die trichterförmigen Blüten werden von verschiedenen Insekten, insbesondere von Bienen und Hummeln, bestäubt. Die Nesselblättrige Glockenblume blüht in den Sommermonaten Juli und August.
Exotische Blütenpracht
Der geschützte Türkenbund ist eine attraktive Erscheinung. Seine prächtigen, an einen Turban erinnernden Blüten finden sich zwischen Juni und August in den Hochstaudenfluren und lichten Waldabschnitten des Eistobels. Vor allem nachts verströmt er einen süßen, schweren Duft, mit dem er Nachtschwärmer anlockt. Der Türkenbund kann über einen Meter hoch und bis zu 50 Jahre alt werden.